Zu-Fall, – oder wenn eine Flaschenpost die Finder aussucht. Eine Fundmeldung.


Silvesterabend 2022, noch ein paar Stunden bis zum Jahreswechsel. Nach Jahren der Corona Beschränkungen wurde wieder gefeiert. Hier und da stiegen schon ein paar Feuerwerksraketen auf, es wurde reichlich geknallt. Ich hatte eine Flasche Rotwein bereitgestellt. Aber zum Feiern war mit nicht.

Über das alte Ziegelgebäude 500 Meter weiter wanderte gerade eine hellglühende Leuchtkugel, – bei uns an der Küste wird zum Jahreswechsel viel Signalmunition verschossen -, sie hüllte das große Walmdach für einige Augenblicke in ein fahlrotes Licht und erlosch. Dort waren Flüchtlinge untergebracht. Was wohl die Kinder dort bei dem Geballer fühlten? Kinder, die Krieg erlebt hatten?

2022, – und wir haben Krieg in Europa. Ein Krieg, den wir nicht für möglich gehalten hatten. Meinten wir doch, wenigstens in Europa hätten wir aus den Erfahrungen unserer Eltern und Großeltern gelernt und nach zwei grausigen Weltkriegen endlich begriffen, dass es darum geht, Grenzen durchlässig und unwichtig zu machen, statt sie mit Gewalt zu verschieben. Aber dann kommt dieser Möchtegern-Zar in seiner unfassbaren Eitelkeit daher, um sich zum Ende seiner politischen Karriere als Einiger eines Großrussischen Reiches feiern zu lassen. Wenn der Krieg in der Ukraine so weiter geht, dachte ich, dann wird irgendwann das Land komplett in Schutt und Asche liegen und nur noch von Krüppeln, Witwen und Waisen bewohnt werden. Welch ein Elend! Hat die Welt nach der kaum überstandenen Coronapandemie nicht genügend andere Probleme? Müssen wir unsere Kraft nicht viel mehr der Klimakrise widmen? Gibt es denn nicht genügend andere Konflikte, die nur weiter weg sind, die auch endlich gelöst werden müssen?

Ich habe ein recht norddeutsches Gemüt, selbst heftige Temperamentsausbrüche können selten den Dampf über meiner Teetasse kräuseln. Aber bei diesen Gedanken kam ich in Brass. Und ich schrieb meinen Zorn nieder. Ich tat es, was vorher nur ein einziges Mal vorgekommen war, in einem Flaschenbrief. In meinem holperigen Siebtklässler-Englisch muss der Text eine wenig elegante Note bekommen haben. Aber dann fügte ich doch noch gute Wünsche für das neue Jahr an. Dass die Ukrainer standhaft bleiben und dass es ihnen gelingen möge, die Invasoren aus dem Land zu jagen. Und dass wir alle doch noch Hoffnung im Herzen behalten.

Am 10. Januar ging die Flaschenpost dann wohlverkorkt und versiegelt auf die Reise. Dieses Mal nicht vom Ende der Kieler Förde bei Bülk, sondern von einer Anlegebrücke nicht weit von Falkensteiner Leuchtturm. Es wehte zwar nur eine schwache Brise, aber sie kam aus Südwest, die Seebuddel hatte also eine gute Chance, aus dem Trichter der Meeresbucht herauszukommen.

FP 134 Ausschnitt

Die Beute auf dem Wohnzimmertisch. Bildrechte: Olya B.

Sechs Tage später bekam ich eine E-Mail von Langeland, darin einige liebe Zeilen, präzise Koordinaten des Fundortes, angehängt Fotos mit zwei strahlenden Kindern, die stolz ihren Fund in die Kamera halten. Ganz allerliebst, herzlichen Dank! Die Verfasserin, die seit einigen Jahren mit ihrer Familie auf der dänischen Insel wohnt, war berührt von meinen Wünschen und meiner Solidaritätsbekundung zu dem so übel geschundenen Land am Schwarzen Meer.

Die Familie stammt aus der Ukraine.

Zufall? Jedenfalls ist ihnen die Botschaft zu-gefallen.

Manchmal suchen sich Flaschenposten ihre Finder und nicht umgekehrt.

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3 Gedanken zu „Zu-Fall, – oder wenn eine Flaschenpost die Finder aussucht. Eine Fundmeldung.

  1. Wow, was für eine Geschichte, die manchmal nur das Leben so schreiben kann. Liebe Grüße Anja und Charly 🙋🏻‍♀️🐶

  2. Das ist wirklich eine tolle Geschichte. Es motiviert mich auch mal wieder eine Flaschenpost auf die Reise zu schicken. Oder noch besser eine zu finden.
    Meine erste und bisher einzige Flaschenpost verschickte ich 2003 – Trauer- weil eine Schwangerschaft vorzeitig geendet war. Ich hatte die Flasche an das ungeborene Kind adressiert.

    • Liebe Xeniana,
      die Trauer in Worte zu fassen, niederzuschreiben und dann loszulassen und wegtreiben zu sehen, ist sicher ein schmerzhafter, aber guter Weg des Abschiedes. Ich hoffe, dass es so für dich leichter geworden ist, mit dem Verlust des Kindchens umzugehen.

      Aber vielleicht ist jetzt Zeit, auch die fröhliche Seite des Flaschzenpostschreibens auszuprobieren! Also los, tu es einfach! 🙂

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